Kapitel 6
Quarks, Computer und das Challenger-Unglück

2  Computer

Zusammenfassung des Buchkapitels:



Zusatzinformationen:

a) Wieviel Information passt in ein Raumvolumen?
b) Den Elektronenspin simulieren: komplementäre Informationen
c) Verschränkte Spins im Kegelmodell
d) Ablenkwahrscheinlichkeit bei einer Spinkippung um 60 Grad



a) Wieviel Information passt in ein Raumvolumen?

Ein Hinweis, dass der Raum aus winzigen diskreten Einheiten bestehen könnte, ergibt sich aus der Entropieformel schwarzer Löcher, die Stephen Hawking im Jahr 1974 entdeckt hatte − wir hatten sie in den Zusatzinfos zu Kapitel 5.4 kennengelernt.

Nach dieser Formel ist die Entropie S eines schwarzen Lochs proportional zur Fläche A des Ereignishorizontes, der das schwarze Loch umschließt. Man kann zeigen, dass dies die maximale Entropie ist, die sich in dem Raumvolumen unterbringen lässt, das von dem Ereignishorizont umschlossen wird. Fügt man Materie mit weiterer Entropie hinzu, so wächst der Ereignishorizont und damit das von ihm umschlossene Volumen.

Nun kann man die Entropie eines Objekts auch als ein Maß für die Information ansehen, die sich in seiner mikroskopischen Struktur verbirgt. Wenn es also eine Obergrenze für die Entropie in einem Raumvolumen gibt, so gibt es auch eine Obergrenze für die Informationsmenge, die sich darin unterbringen lässt. Interessanterweise wächst diese Informations-Obergrenze nach Hawkings Formel nicht proportional zum Volumen an, sondern nur proportional zu dessen Oberfläche A. Warum das so ist, kann heute noch niemand genau sagen, auch wenn es einige interessante Ideen dazu aus der Stringtheorie oder der Loop-Quantengravitation gibt.



b) Den Elektronenspin simulieren: komplementäre Informationen

Aus den Zusatzinfos zu Kapitel 6.1 wissen wir, dass wir den Spin des Elektrons durch zwei Amplituden ψ und ψ beschreiben können. Ihr Betragsquadrat gibt die Wahrscheinlichkeiten an, dass der Elektronenspin nach oben oder unten zeigt, dass also anschaulich das Elektron im oder gegen den Uhrzeigersinn um die senkrechte Raumachse rotiert. Messen können wir dies mit einem senkrechten inhomogenen Magnetfeld, in dem die Elektronen nach oben oder unten abgelenkt werden (wobei wir den Einfluss ihrer Ladung ignorieren).

Der quantenmechanische Zustand, der durch die beiden Amplituden beschrieben wird, enthält aber mehr Informationen als nur diese beiden Wahrscheinlichkeiten. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, den man leicht übersehen kann!

Besonders deutlich wird das, wenn wir den Spin um 90 Grad bzw. um 270 Grad nach rechts kippen − der zweite Fall entspricht natürlich einer Kippung um 90 Grad nach links. Was dabei mit den beiden Amplituden geschieht, haben wir in Kapitel 6.1 gesehen: Sie lauten ψ = 1/√2 und ψ = 1/√2 für die Kippung um 90 Grad sowie ψ = −1/√2 und ψ = 1/√2 für die Kippung um 270 Grad. Das Betragsquadrat dieser Amplituden ist also hier beides Mal gleich 1/2.

In beiden Fällen ist also die Wahrscheinlichkeit für Spin ↑ oder ↓ jeweils 50 %. Aber in einem waagerecht orientierten Magnetfeld werden die um 90 Grad gekippten Spins ausschließlich nach rechts und die um 270 Grad gekippten Spins ausschließlich nach links abgelenkt. Sie verhalten sich also unterschiedlich! Bezüglich der waagerechten Richtung würden wir die gekippten Spin daher im ersten Fall durch die Amplituden ψ = 1 und ψ = 0 sowie im zweiten Fall durch ψ = 0 und ψ = 1 beschreiben. Zusammengefasst haben wir also:

Es kommt also auf das Vorzeichen der beiden Amplituden relativ zueinander an, wenn man das Spinverhalten in verschiedenen Ausrichtungen des Magnetfeldes betrachtet. Das Betragsquadrat alleine genügt nicht.

Aus Kapitel 5.3 kennen wir ein anderes Beispiel, bei dem das relative Vorzeichen der Amplituden oder allgemeiner die relative Ausrichtung der Amplitudenpfeile wichtig war: die Interferenz der beiden Elektronenwellen im Doppelspaltversuch hinter den beiden Löchern. Dort bedeutete Interferenz, dass man einfach am Detektorschirm die Amplituden der beiden Teilwellen zur Amplitude der Gesamtwelle addieren muss.

Bei den Spins ist das etwas komplizierter: Interferenz der beiden Amplituden ψ und ψ bedeutet hier, dass sich aus ihnen beispielsweise bezüglich der waagerechten Richtung die beiden Amplituden ψ und ψ so ergeben, wie wir uns das gerade überlegt haben. Wieso man hier ähnlich wie im Doppelspaltversuch von Interferenz sprechen kann, wird an folgendem Experiment deutlich, das Feynman in ähnlicher Form in seinen Lectures in Band 3 Kapitel 5-5 beschreibt:

Wir starten mit einem Strahl Elektronen, deren Spin nach rechts orientiert ist, sodass ψ = 1 und ψ = 0 ist. In einem passenden waagerechten Magnetfeld würden diese Elektronen also nach rechts abgelenkt. Stattdessen schicken wir den Strahl aber durch ein senkrechtes Magnetfeld, sodass es zwei Möglichkeiten gibt: Die Elektronen können nach oben oder unten abgelenkt werden, so wie sie im Doppelspaltversuch durch das eine oder andere Loch hindurchgehen können. Anschließend bringen wir die beiden Teilstrahlen durch ein umgekehrtes senkrechtes Magnetfeld wieder zusammen, sodass sie sich wieder zu einem einzigen Strahl vereinen.

Was geschieht, wenn wir den wiedervereinigten Strahl nun durch ein waagerechtes Magnetfeld schicken? Er verhält sich so, als sei zwischendurch nichts weiter passiert: Die Elektronen werden wieder nach rechts abgelenkt, d.h. die beiden Amplituden ψ = 1/√2 und ψ = 1/√2 der beiden Teilstrahlen interferieren zu ψ = 1 und ψ = 0.

Analog ist es, wenn wir mit Elektronen starten, deren Spin nach links orientiert ist, sodass wir ψ = 0 und ψ = 1 haben. Die entsprechenden Amplituden bezüglich der senkrechten Ablenkrichtung ψ = −1/√2 und ψ = 1/√2 interferieren nach der Wiedervereinigung der Teilstrahlen wieder zu ψ = 0 und ψ = 1, sodass die Elektronen im waagerechten Magnetfeld nach links abgelenkt werden.

Das alles stimmt allerdings nur, wenn wirklich nichts weiter passiert als eine sanfte Aufteilung und Wiedervereinigung der Strahlen in senkrechter Richtung. Beides muss so ablaufen, dass die Ablenkung der Elektronen nach oben oder unten keinerlei Spuren hinterlässt, aus denen man ablesen kann, welche der beiden Möglichkeiten gewählt wurde. Es ist wie bei den beiden Löchern im Doppelspaltversuch: Interferenz von Amplituden, die zu verschiedenen Möglichkeiten gehören, gibt es nur dann, wenn die Möglichkeiten ununterscheidbar sind.

Würden wir beispielsweise eine starke Lichtquelle im Magneten anbringen, die uns erkennen lässt, ob die Elektronen nach oben oder unten abgelenkt wurden, so zerstören wir damit die Interferenz. Wir würden dann feststellen, dass die Elektronen in beiden Fällen mit je 50 % Wahrscheinlichkeit nach oben oder unten abgelenkt werden − egal ob der Spin zuvor nach rechts oder links zeigt. Treffen sie nach der Wiedervereinigung auf das waagerechte Magnetfeld, so ist die Chance, nach rechts oder links abgelenkt zu werden, ebenfalls 50 %. Die Messung, ob die Elektronen nach oben oder unten abgelenkt werden, zerstört die Information darüber, dass der Spin nach rechts bzw. links orientiert war.

Wir sehen hier ein weiteres Beispiel für das Wirken von Heisenbergs Unschärferelation: Die Information darüber, ob der Spin in senkrechter Richtung nach oben oder unten orientiert ist, ist komplementär zu der Information, ob der Spin in waagerechter Richtung nach links oder rechts orientiert ist. Es verhält sich beim Spin ganz analog wie bei den komplementären Größen Ort und Impuls eines Teilchens: Beides zugleich kann man nicht präzise wissen. Es kann immer nur eine der beiden Informationen mit absoluter Gewissheit in den Wahrscheinlichkeitsamplituden kodiert sein. Je genauer man die eine Information hat, umso ungenauer wird die dazu komplementäre Information.

Solange man sich den Spin eines Elektrons wie einen eindeutig definierten klassischen Drehimpuls vorstellt, ist dieses typische Quantenverhalten nur schwer zu verstehen. Man kann das klassische Bild aber etwas abwandeln, sodass es die Quanteneigenschaften besser widerspiegelt. Wenn wir Glück haben, könnte dieses abgewandelte Bild womöglich eine geeignete Grundlage darstellen, um den Spin in exakter Weise in unserem Zufallscomputer zu simulieren.

Beginnen wir wieder mit einem Elektron, dessen Spin nach rechts zeigt. Ein solches Elektron würden wir uns bisher wie eine kleine Kugel vorstellen, die von rechts gesehen gegen den Uhrzeigersinn um die waagerechte Achse rotiert. Der Drehimpuls dieser Kugel würde also nach rechts zeigen. Warum man bei diesem Elektron in senkrechter Richtung mit je 50 % Wahrscheinlichkeit einen Spin nach oben oder unten messen würde, ist dann ein Rätsel. Daher verändern wir das Bild folgendermaßen: Wir stellen uns eine Kegelfläche vor, die ihre Spitze am Ort des Elektrons hat und sich von dort in die Richtung des Spins − hier also nach rechts − öffnet. Dabei bildet sie mit der z-Achse nach oben und unten einen Winkel von 45 Grad. Der Drehimpulspfeil der rotierenden Kugel soll nun nicht mehr genau nach rechts zeigen, sondern irgendwo auf der Kegelfläche liegen. Dabei können wir uns vorstellen, dass der Drehimpuls wie bei einem Kreisel ständig sehr schnell auf der Kegelfläche entlangwandert oder dort zufällig herumhüpft. Die Projektion des Drehimpulses auf die waagerechte Richtung nach rechts bleibt dabei konstant, was wir so interpretieren wollen, dass wir in der waagerechten Richtung immer den Spin nach rechts orientiert vorfinden. Die Projektion auf die senkrechte z-Achse ändert sich dagegen ständig, sodass wir in dieser Richtung den Spin zufällig mal nach oben und mal nach unten orientiert messen würden.



Darstellung eines nach rechts orientierten Elektronenspins durch einen Drehimpuls (Pfeil), der sich zufällig auf einer nach rechts geöffneten Kegelfläche bewegt.


Dieses anschauliche Bild spiegelt sehr schön die Komplementarität der Spinmessung in verschiedenen Richtungen wider: Wenn wir wissen, dass wir bei einer Spinmessung in waagerechter Richtung immer den Spin nach rechts vorfinden, dann orientieren wir die Kegelöffnung nach rechts und erreichen damit, dass in den dazu senkrechten Raumrichtungen die Spinorientierung zufällig ist. Wenn solche Elektronen durch das senkrechte Magnetfeld wandern, ohne dass wir die Ablenkung nach oben oder unten messen, dann bleibt der Kegel unverändert nach rechts geöffnet und die Elektronen werden in einem waagerechten Magnetfeld weiterhin nach rechts abgelenkt. Analog ist es bei einer Spinausrichtung nach links. Wenn wir die Ablenkung nach oben oder unten dagegen messen, so ändert sich dadurch der Kegel: Für die nach oben abgelenkten Elektronen muss er nach der Messung nach oben geöffnet sein und für die nach unten abgelenkten Elektronen nach unten geöffnet. In beiden Fällen ist anschließend die Chance, im waagerechten Magnetfeld nach rechts oder links abgelenkt zu werden, je 50 %.

Wenn unser Zufallscomputer auf dieser anschaulichen Basis das Verhalten eines Spins simuliert, so scheint alles auch ohne Quantenamplituden hervorragend zu funktionieren. Tatsächlich hilft das Kegelbild in vielen Fällen, sich das Verhalten eines Spins zu veranschaulichen − allerdings nicht immer.



c) Verschränkte Spins im Kegelmodell

Für zwei Spins (wie beispielsweise im Heliumatom, siehe Kapitel 6.1) brauchen wir im Kegelmodell zwei Kegel − einen für jeden Spin. Die beiden Triplett-Zustände ↑↑ und ↓↓ werden dann durch je zwei Kegel dargestellt, die beide nach oben bzw. unten geöffnet sind, wobei die Drehimpulse auf beiden Kegeln immer exakt gleich ausgerichtet sind. Wenn sie also zufällig auf der Kegelfläche herumspringen, so tun sie das immer synchron.

Für die Darstellung des dritten Triplett-Zustandes ↑↓ + ↓↑ müssen wir einen nach oben und einen nach unten geöffneten Kegel kombinieren, wobei die beiden Drehimpulse bezüglich der senkrechten Richtung immer entgegengesetzt, in waagerechter Richtung jedoch gleich orientiert sind. In senkrechter Richtung verhalten sich die beiden Spins also entgegengesetzt zueinander, in waagerechter Richtung jedoch parallel.



Darstellung der drei Triplett-Zustände und des Singulett-Zustandes im Kegelmodell. Beim Triplett bewegen sich die beiden Drehimpulspfeile gleichphasig, beim Singulett gegenphasig um die senkrechte Achse.


Beim Singulett-Zustand ↑↓ − ↓↑ sind die Kegel genauso ausgerichtet wie beim Triplett-Zustand ↑↓ + ↓↑, aber die beiden Drehimpulse sind immer exakt entgegengesetzt zueinander orientiert. Das Minuszeichen bekommt in diesem Bild eine unmittelbar anschauliche Bedeutung. Egal in welcher Raumrichtung wir messen: die beiden Spins sind beim Singulett-Zustand immer entgegengesetzt ausgerichtet.

Die Tatsache, dass sich die beiden Drehimpulspfeile im Kegelmodell immer synchron zueinander verhalten, bezeichnet man in der Quantenphysik auch als Verschränkung. Die beiden Spins sind also miteinander verschränkt und bilden ein gemeinsames Ganzes: Weiß man etwas über den einen Spin, so weiß man automatisch auch etwas über den anderen Spin.

Konzentrieren wir uns auf den Singulett-Zustand und stellen wir uns vor, dass eine Elektronenquelle immer wieder zwei Elektronen in entgegengesetzte Richtungen aussendet, deren Spins sich in einem solchen Singulett-Zustand befinden. Die beiden Elektronenspins sind also bei jedem emittierten Elektronenpaar garantiert entgegengesetzt zueinander orientiert – egal welche Raumrichtung wir für die Messung wählen und egal, wie weit sich die beiden Elektronen voneinander entfernen. Wenn sie beispielsweise jeweils durch ein senkrechtes inhomogenes Magnetfeld fliegen, so wird eines von ihnen nach oben und das andere nach unten abgelenkt. Welches von ihnen nach oben bzw. nach unten abgelenkt wird, ist dabei nicht vorherbestimmt.



d) Ablenkwahrscheinlichkeit bei einer Spinkippung um 60 Grad

Was sagt die Quantenmechanik zur Wahrscheinlichkeit, dass ein Elektron in zwei um 60 Grad gegeneinander verdrehten Magnetfeldern beides Mal in Richtung Nordpol bzw. Südpol abgelenkt wird? Das können wir mit unserem Wissen über das Kippen von Elektronenspins aus den Zusatzinfos zu Kapitel 6.1 beantworten:

Angenommen, das Magnetfeld ist senkrecht ausgerichtet und der Spin des Elektrons zeigt nach oben (Spin ↑), sodass es garantiert in Richtung Nordpol − der oben liegen soll − abgelenkt wird. Wenn wir das Magnetfeld nun um 60 Grad nach links kippen, sinkt die Wahrscheinlichkeit für das Elektron, auch in diesem Magnetfeld schräg in Richtung Nordpol abgelenkt zu werden. Statt das Magnetfeld um 60 Grad nach links zu kippen, hätten wir auch den Spin des Elektrons um 60 Grad nach rechts kippen und das Magnetfeld senkrecht lassen können − die Ablenkwahrscheinlichkeiten sind dieselben. Bei einem um den Winkel θ nach rechts gekippten Spin ist die Amplitude für die Ablenkung nach oben gegeben durch

ψ = cos (θ/2)

wie wir aus Kapitel 6.1 wissen − hier noch einmal die entsprechende Abbildung dazu:



Kippt man den Spin eines Elektrons um den Winkel θ gegen die senkrechte z-Achse, so verändern sich die Wahrscheinlichkeitsamplituden für die senkrechte Spinkomponente wie rechts dargestellt.


Wir müssen also den Cosinus von 60/2 = 30 Grad bilden, was ψ = √(3/4) ergibt. Für die Wahrscheinlichkeit müssen wir das noch quadrieren, sodass wir folgendes Ergebnis erhalten:

Das steht in klarem Widerspruch zu dem Ergebnis, das wir im Buchkapitel aufgrund der angenommenen inneren Eigenschaften des Elektrons erhalten. Danach sollte diese Wahrscheinlichkeit höchsten 2/3 betragen. Die Vorhersage der Quantenmechanik von 3/4 liegt um 1/12 darüber.



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last modified on 14 October 2017