Kapitel 1
Die Geburt des Universums

2   Die inflationäre Expansion: das Universum bläht sich auf

Zusammenfassung von Teilen des Buchkapitels:

Was führte zum Urknall?

Es gibt dazu eine sehr interessante Idee, die in den letzten Jahrzehnten sehr viele weitere Eigenschaften des Universums erklären konnte und die deshalb mittlerweile eine breite Akzeptanz gefunden hat: Die Idee, dass der Urknall durch ein sogenanntes Inflatonfeld verursacht wurde, das möglicherweise rein zufällig in einem winzigen Raumbereich des Raum-Zeit-Quantenschaums entstand.

Felder, die sich als Inflatonfeld eignen könnten, kennt man von Erweiterungen des sogenannten Standardmodells der Elementarteilchenphysik her und sogar aus dem Standardmodell selbst: sogenannte Higgs-Felder. So ist ein Higgs-Feld bereits heute ein zentraler Bestandteil des Standardmodells, das fast alle heute messbaren physikalischen Gesetze (mit Ausnahme der Gravitation) mit sehr hoher Präzision beschreiben kann.

Man stellt sich vor, dass zu Beginn unser heute sichtbares Universum ein sehr kleiner Raumbereich war (vielleicht nur einige Tausend Planck-Längen groß), in dem sich aus irgend einem Grund ein hochenergetisches Inflatonfeld in einem metastabilen Zustand aufbaute (ähnlich wie sich unterkühltes Wasser in einem metastabilen Zustand befindet). Dieser winzige Raumbereich mit metastabilem, hochenergetischem Inflatonfeld bildete nun die Keimzelle für unser Universum. Schauen wir uns an, warum:

Ein metastabiles Inflatonfeld übt einen sehr starken negativen Druck aus. Das hat extreme Auswirkungen auf die Gravitationswirkung, die vom Feld ausgeht. Das Einsteinsche Gravitationsgesetz der allgemeinen Relativitätstheorie sagt nämlich Folgendes (die etwas präzisere Version steht in Die Symmetrie der Naturgesetze, Kapitel 5.3 Die Einsteinschen Feldgleichungen, siehe dort besonders die anschauliche Formulierung des Einsteinschen Gravitationsgesetzes nach John Baez und Emory Bunn sowie den Abschnitt über die kosmologische Konstante):

  • Einsteins Gravitationsgesetz:

    Die Gravitationswirkung, die von einem kleinen Volumenbereich einer Materieverteilung ausgeht, ist proportional zur Energiedichte plus dem dreifachen Druck, beides gemessen im betrachteten Volumenbereich.

Die Energiedichte umfasst dabei auch die Massendichte, die man durch Multiplikation mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit in eine Energiedichte umrechnet.

Besonders interessant ist, dass offenbar auch der Druck eine Gravitationswirkung ausübt! Wirklich anschaulich verstehen kann man das nicht gut, aber es ergibt sich eindeutig aus Einsteins Gravitationsgesetz! Die Verdreifachung des Drucks hat ihre Ursache in den drei Raumrichtungen: jede Raumrichtung muss einmal gezählt werden.

Bei normaler Materie spielt der Druck im Vergleich zur Massen- bzw. Energiedichte für die Gravitation keine Rolle. Anders ist das beispielsweise bei einem Neutronenstern, in dem der extreme positive (also abstoßende) Druck der Neutronen zu einer starken gravitativen Anziehungskraft führt. Ein relativ großer Teil der anziehenden Gravitationskraft eines Neutronensterns kommt durch den großen abstoßenden Druck in ihm zustande.

Beim metastabilen Inflatonfeld ist es genau umgekehrt: es besitzt einen sehr starken negativen Druck, d.h. das Feld selbst möchte sich zunächst einmal gerne zusammenziehen. Dieser negative Druck ist so stark, dass seine abstoßende Gravitationswirkung die anziehende Gravitationswirkung der Feld-Energiedichte überwiegt. Insgesamt übt das metastabile Inflatonfeld also eine abstoßende Gravitationswirkung aus! Aufgrund seines negativen Drucks kann das metastabile Inflatonfeld außerdem die Energie der Gravitation anzapfen, sodass sich bei der Expansion des Raumes genug Inflatonfeld nachbildet, um seine räumliche Energiedichte konstant zu halten. Das Inflatonfeld verhält sich dadurch wie eine kosmologische Konstante.

Die abstoßende Gravitation wächst nun mit wachsendem Raumvolumen immer weiter an, da immer mehr neu entstehendes Inflatonfeld mit negativem Druck in diesem Raum Platz hat. Man nennt diese Phase die inflationäre Expansion, von englisch inflate = aufblasen. Solange das metastabile Inflatonfeld vorhanden ist, bläht sich daher das Raumvolumen exponentiell auf.

Um sich diese Ausdehnung besser vorzustellen, kann man den dreidimensionalen Raum mit einer zweidimensionalen Ballonoberfläche vergleichen: So wie sich die Oberfläche beim Aufblasen des Ballons vergrößert, so vergrößert sich auch der dreidimensionale Raum des Universums. Vorsicht: In dieser Analogie spielt das Ballon-Innere keine Rolle; nur die Ballon-Ober-fläche interessiert uns. Beispielsweise hat die Ballonoberfläche keinen Mittelpunkt und auch keine Grenze, im Gegensatz zum Ballon. Uns selbst müssen wir uns beim Ballon als flächenhafte winzige Wesen vorstellen, die auf der Ballonoberfläche leben und die sich nur zweidimensionale Flächen vorstellen können.




Das metastabile Inflatonfeld besitzt einen starken negativen Druck, der eine starke abstoßende Gravitation bewirkt.
Das Universum bläht sich daher immer schneller auf, so wie die Oberfläche des Ballons in diesem Bild.


Man nimmt an, dass die inflationäre Expansion unseres Universums rund 10−33 Sekunden andauerte und danach wieder zur Ruhe gekommen ist. In diesem winzigen Sekundenbruchteil hat sich das Universum insgesamt um einen Faktor zwischen 1030 und 1050 ausgedehnt. Das kann man durchaus Urknall nennen: der Raum des Universums hat sich fast schlagartig extrem ausgedehnt. Die obigen Zahlen sind alle mit großen Unsicherheiten behaftet und hängen im Detail von den Annahmen ab, die man über das Inflatonfeld macht. Wichtig ist alleine, dass die Ausdehnung sehr sehr groß war und in einem sehr kurzen Zeitraum stattfand. Ein Faktor von 1030 bedeutet beispielsweise, dass sich ein Atom (etwa 10− 10 Meter) auf etwa zehntausend Lichtjahre ausdehnen würde.

Nach etwa 10−33 Sekunden machte sich bemerkbar, dass der bisherige hochenergetische Zustand des Inflatonfeldes metastabil ist: Das Feld rutschte in einen niederenergetischen stabilen Zustand. Die dabei freiwerdende Energie wandelte sich nun in andere Materieformen um, aus denen schließlich (u.a.) die Materie entstand, die wir kennen. Die Gravitation dieser Materie wirkte nun anziehend. Nach dem Ende der inflationären Expansion dehnte sich das Universum daher zwar weiter aus, aber diese Ausdehnung beschleunigte sich nicht mehr.

Als sich die Energie des Inflatonfeldes in andere Materieformen umwandelte, geschah etwas Besonderes: Normalerweise können aus Energie immer nur Paare aus Teilchen und Antiteilchen gebildet werden, d.h. es müsste ein extrem dichtes heißes Gas (Plasma) aus gleich vielen Teilchen und Antiteilchen entstanden sein, in dem sich ständig Energie in Paare aus Teilchen und Antiteilchen umwandelt und umgekehrt. Irgendwie muss es aber eine kleine Unsymmetrie gegeben haben: es wurden etwas mehr Teilchen als Antiteilchen gebildet, so dass später, nachdem sich bei fortschreitender Abkühlung Teilchen und Antiteilchen wieder gegenseitig vernichtet und in Energie umgewandelt hatten, einige Teilchen übrigblieben.

Wir haben es also am Ende der Inflation mit einem sehr heißen dichten Plasma aus verschiedenen Teilchen und Antiteilchen zu tun, wobei es etwas mehr Teilchen gibt. Insbesondere gibt es in dem Plasma bereits viele Quarks und Gluonen, die aber aufgrund der hohen Temperatur noch nicht zu Protonen und Neutronen verschmolzen sind (man spricht von einem Quark-Gluon-Plasma). Das interessante ist nun: Dieses Plasma weist überall ziemlich genau dieselbe Temperatur auf. Das weiß man z.B. aufgrund der gleichmäßigen Temperatur der kosmischen Hintergrundstrahlung. Die Schwankungen der Temperatur betragen lediglich etwa ein Hunderttausendstel. Sie werden durch winzige Quantenfluktuationen des anfänglichen Inflatonfeldes verursacht, die durch die inflationäre Expansion enorm vergrößert wurden. Diese Temperaturschwankungen hängen mit kleinen Unregelmäßigkeiten in der Materiedichte im Universum zusammen, die wiederum die Keimzellen für die Bildung von Sternen und Galaxien bilden werden.

Die sehr gleichmäßige Temperatur konnte sich einstellen, da zu Beginn der inflationären Expansion das Universum sehr klein war und sich anfangs erst langsam ausdehnte. So war genügend Zeit vorhanden, so dass sich ein Temperatur-Gleichgewicht einstellen konnte. Dieses Gleichgewicht wurde durch die inflationäre Expansion nicht zerstört. Ohne die inflationäre Expansion dagegen könnte man dieses Temperaturgleichgewicht nicht erklären, denn das Universum hätte sich dann zu Beginn viel zu schnell ausdehnen müssen, so dass die verschiedenen Teile des Universums seit dem Urknall niemals genug Zeit gehabt hätten, um ihre Temperatur anzugleichen, denn auch Temperaturinformationen können maximal mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum wandern.

Zu Beginn war das Universum also ein winziges Raumklümpchen, in dem die Expansion langsam in Schwung kam. Ein Lichtstrahl konnte von jedem Punkt aus jeden anderen Punkt des Raumklümpchens erreichen, bevor sich der Punkt zu weit entfernte. So konnte sich die Temperatur überall angleichen. Dann begann das Universum immer schneller zu expandieren. Lichtstrahlen, die jetzt ausgesendet wurden, konnten nicht mehr jeden Punkt im Raum erreichen, da etwas weiter entfernte Punkte sich immer schneller entfernten, so dass der Lichtstrahl sie nicht mehr einholen konnte. Tatsächlich: Raumpunkte (und mit ihnen die dort befindliche Materie) können sich mit Überlichtgeschwindigkeit voneinander entfernen! Das ist kein Widerspruch zur speziellen Relativitätstheorie, denn diese sagt nur aus, dass sich Licht (und jede physikalische Wirkung) lokal nur mit Lichtgeschwindigkeit bewegen kann. Stellen wir uns das Universum wieder als Ballonoberfläche vor, so gibt es eine Maximalgeschwindigkeit für Bewegungen auf der Ballonoberfläche. Den Ballon insgesamt können wir jedoch beliebig schnell aufblasen, so dass entgegengesetzte Punkte sehr schnell den Kontakt zueinander verlieren. Die inflationäre Expansion ist sogar so stark, dass die meisten Punkte zueinander den Kontakt verlieren! Nachdem die inflationäre Expansion erloschen war, war das Universum derart angewachsen, dass seitdem nur ein sehr kleiner Teil des Universums für uns sichtbar ist. Das Licht der anderen Raumpunkte hatte seit dem Ende der Inflation einfach nicht genug Zeit, die immens angewachsene Entfernung zu überbrücken. Das heute prinzipiell sichtbare Universum ist vermutlich nur ein winziger Teil des gesamten Universums! Es ist gut möglich, dass wenn wir uns das Universum als Ballonoberfläche von der Größe der Erdoberfläche vorstellen, das sichtbare Universum nur so groß wie ein Sandkorn ist.

Das obige Bild macht noch etwas anderes deutlich: Nach Einstein könnte der Raum unseres Universums in sich gekrümmt sein wie die Oberfläche des Ballons. Wenn der Universums-Ballon jedoch so groß wie die Erdoberfläche ist und das sichbare Universum nur so groß wie ein Sandkorn, so sehen wir die Krümmung nicht! Das sichtbare Universum erscheint uns flach wie der gewohnte euklidische Raum zu sein. Genau das konnte man durch die Beobachtung der kosmischen Hintergrundstrahlung nachweisen.



Vermutlich ist das sichtbare Universum nur ein winziger Ausschnitt des gesamten Universums. Es ist gut möglich, dass wenn wir uns das gesamte Universum so groß wie die Erdoberfläche vorstellen, das sichtbare Universum nur so groß wie ein Sandkorn ist. Daher erscheint uns das sichtbare Universum flach (euklidisch).
Bild: Die Erde, aufgenommen von Apollo 17. Quelle: Wikipemia Commons File:The Earth seen from Apollo 17.jpg, dort angegebene Quelle:
NASA, siehe http://nssdc.gsfc.nasa.gov/imgcat/html/object_page/a17_h_148_22727.html, demnach gemeinfrei.


Ein flaches Universum besitzt eine Materiedichte, die gleich der sogenannten kritischen Dichte ist. Die inflationäre Expansion stellt automatisch die Dichte sehr genau auf die kritische Dichte ein. Mittlerweile weiß man, dass die Dichte unseres Universums tatsächlich gleich der kritischen Dichte ist.

Zum Schluss dieses Kapitels noch einige Gedanken zur Entropie und der Richtung der Zeit:

Das heiße Plasma, das nach der inflationären Expansion den Raum gleichmäßig erfüllt, weist eine niedrige Entropie auf, wenn man zusätzlich die Gravitation berücksichtigt. Die Gravitation möchte Materie zusammenziehen -- deshalb ist eine gleichmäßige Verteilung des Plasmas im Universum nicht der Zustand mit der größten Entropie! Man kann z.B. ausrechnen, dass bei genügend viel Materie der Zustand mit der größten Entropie ein schwarzes Loch ist!

Wegen der Gravitation ist also der Zustand, in dem sich das Universum nach der inflationären Expansion befindet, ein Zustand mit geringer Entropie. Und das ist gut so, denn nur deshalb kann sich das Universum weiterentwickeln, wobei seine Entropie stetig wächst. Nur so kann die Zeit eine Richtung erhalten, denn die Gesetze der Physik kennen keine Zukunft und keine Vergangenheit -- beide Zeitrichtungen sind gleichberechtigt! Erst ein Zustand niedriger Entropie, von dem aus die Entropie anwachsen kann, definiert eine Zeitrichtung und damit Zukunft und Vergangenheit.

Bleibt die Frage: Woher kommt diese niedrige Entropie? Die inflationäre Expansion gibt darauf die folgende Antwort: Nur ein kleiner Raumbereich, in dem ein metastabiles relativ gleichförmiges Inflatonfeld vorliegt, kann inflationär expandieren. Ein solcher kleiner Anfangs-Raumbereich mit gleichförmigem Inflatonfeld weist eine niedrige Entropie auf. Da der Anfangs-Raumbereich recht klein ist, kann sich dieses Inflatonfeld mit niedriger Entropie dort eventuell zufällig einstellen (wobei dieser Punkt durchaus kontrovers diskutiert wird). Durch die inflationäre Expansion wird dann dieser Raumbereich mit niedriger Entropie stark vergrößert und bildet schließlich unser Universum.



Literatur zu dem Thema:


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last modified on 03 March 2012